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Unsere Sinne – Warum fehlen sie uns immer mehr?

Wir sind mit unseren Sinnen ausgestattet, um die Welt zu erfahren – wir sehen, hören, riechen, schmecken und spüren durch unsere Haut. Aber die Notwendigkeit, alle Sinne einzusetzen und möglichst differenziert wahrzunehmen, ist in unserer Zeit nicht mehr lebensnotwendig.

Wir müssen über unseren Gehörsinn nicht mehr feinste Geräusche wahrnehmen, wie zum Beispiel das Anschleichen eines gefährlichen Tieres oder Feindes.

Wir bewegen uns auf befestigten Wegen,haben Brücken, Tunnel, Rolltreppen, Lifte und benutzen immer seltener unsere Füße. Gute Kondition und Gleichgewicht sind nicht mehr zum Überleben notwendig.

Wir benötigen unseren Tastsinn nicht mehr, um die Luftbeschaffenheit, Feuchtigkeit und Windrichtung zu erspüren, damit Aussaat und Ernte richtig geplant werden können. Dafür haben wir jetzt den Wetterbericht.

Geruchs- und  Geschmackssinn werden kaum mehr gebraucht, da wir davon ausgehen, dass im Geschäft keine verdorbenen und giftigen Nahrungsmittel angeboten werden.

Außer der visuellen und auditiven Wahrnehmung, die durch ein Überangebot von Reizen Gefahr läuft, erschlagen zu werden, verkümmert der Grundwahrnehmungsbereich immer mehr.

 

Kinder sind nicht anders als früher. Sie finden aber andere familiäre, gesellschaftliche und sozio-ökologische Strukturen vor. Diese sind gekennzeichnet durch

• das Fehlen natürlicher Spiel- und Bewegungsräume. Spielplätze sind meist zu künstlich und starr oder zu weit entfernt. Kinderzimmer, Kindergärten, Horte und Klassenzimmer sind vollgestopft mit Möbeln und „sauberen“ Spielen.
 
• die Verdrängung der Kinder in die Häuser. Wohnungen verlangen „körperloses“ Spielen, dafür sind Computerspiele und Fernseher ideale Spielgeräte. Die Kinder erleben eine schnelle Bilderwelt, die kaum Zeit lässt, die Informationen zu verarbeiten und zu verknüpfen.
 
• den Verlust der Bewegungs- und Spieltraditionen. Spielkultur wird nicht mehr von älteren Kindern an jüngere weitergegeben. Spiele werden institutionalisiert. 

• die Pädagogisierung der Spielsachen durch die Konsumgüterindustrie. Alles ist vorgefertigt. Bau- und Spielanleitungen werden mitgeliefert. Fantasie ist nicht mehr wichtig und oft nicht mehr möglich. 

• den Verlust der Eigentätigkeit. Passives Konsumieren steht vor aktivem Tun – Apparate, Sensoren, Lichtschranken, Rolltreppen, automatische Türen, ... Ursache und Wirkung können nicht mehr unterschieden werden. 

• fehlende Interaktion. Spielzeug und Geräte sind perfekt und fertig. Sie können nur mehr ein- und ausgeschalten werden. Ein Umgestalten ist nicht möglich. Mit den Figuren im Fernseher oder auf dem Laptop kann nicht geredet werden. 

• kindliche Lebensräume ohne Zusammenhang. Die Erfahrung des Raumes und der Zeit fehlen. Die Wege werden im Auto oder mit Schulbus/Straßenbahn zurückgelegt Die Kinder werden meist unter Zeitdruck von einem Ort zum anderen gefahren (zum Vater, zu Großeltern, in den Park, zur Schule, ins Schwimmbad, zum Fußballtraining, in die Musikschule, zu Freunden, ...). 

• einen immer höher werdenden Leistungsdruck unter dem Deckmantel der Frühförderung, die bereits im Kindergarten beginnt (Musikschule, Sportverein, Englischgruppe, ...) Der Leistungsaspekt überdeckt häufig die Lust am Lernen. 

• institutionalisierte Erziehung – Erziehung wird abgegeben. 

• wenig Zeit und viel Hektik. Es bleibt keine Zeit für Fragen, Erklärungen und Experimentieren, und somit ist kein eigentliches Begreifen für die Kinder mehr möglich. 

• die veränderte Ess- und Kochkultur. Es kommt alles fix und fertig aus dem Geschäft, und die Kinder erleben zum Beispiel nicht mehr den Prozess des Teigknetens, des Ausrollens, den Duft des Backens und des Wartens, bis der Kuchen erkaltet ist.

• unterschiedliche Wertvorstellungen (finanzielle Situation, unterschiedliche Herkunftsländer, große Unterschiede im Erziehungsstil), die Kinder – wenn nicht darüber geredet wird – verunsichern können

Der Körper, das Medium kindlicher Welterfassung, kindlichen Begreifens und unmittelbarer Erfahrung, wird immer mehr aus dem Lebensalltag verdrängt. Aber Kinder erschließen sich ihre Umwelt über Bewegung und Spiel. Über Computerspiele, Fernseher, Handy, Internet und Fastfood kommt die Welt ins Haus. Kinder erleben eine Welt im Kopf.


Es ist eine Welt,

• die man nicht anfassen,
• die man nicht riechen,
• die man nicht spüren,
• in der man sich nicht bewegen,
• die man nicht verändern und
• die man daher auch nicht be-greifen kann.

 

Es ist eine Welt

• ohne Widerstand,
• die die Flucht vor dem Unbequemen und Anstrengenden fördert und
• die die Illusion von Allmacht weckt.
 

Wahrnehmen, Wachsen und Werden aber brauchen viel Zeit, Ruhe und eine kindgerechte Umgebung. Kinder entdecken auf Schritt und Tritt Dinge, die ihre Aufmerksamkeit erregen, mit denen sie die verschiedensten Erfahrungen machen, mit denen sie Ursache und Wirkung untersuchen und mit denen sie versuchen, vertraut zu werden. Da darf man nicht in Eile sein.

 In unserer reizüberfluteten und hektischen Zeit bleibt kein Platz mehr für Rast und Ruhe, für unmittelbare Erlebnisse mit der Natur und Umwelt und somit für ein wortwörtliches Begreifen der Welt. Kinder schließen dann ihre „Tore der Wahrnehmung“ vor einem „Zuviel“ an vorwiegend akustischen und visuellen Reizen und/oder sie verkümmern vor einem „Zuwenig“ an komplexen sinnlichen Erlebnissen, wie zum Beispiel Matschen im Sand oder bewusstes Erleben und Erfahren der Jahreszeiten. Wahrnehmungsstörungen, Bewegungsunruhe, Nervosität und Konzentrationsmangel sind die Folge.

 Auszug aus dem Praxisbuch „Wahrnehmung und Beobachtung“ von Sigrid Prommer

Wahrnehmung und Beobachtung

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